Über
die Unmöglichkeit vorauszusehen, wie oft ein Marktpreis sich
halbieren kann
c) Frank Mechelhoff 2015
"Ich habe da eine alte Camera, im Topzustand,
nur 10 Filme damit gemacht. Damals in einem Top-Geschäft in
New York gekauft, 1979.
Damals die beste Camera der Welt. Liegt jetzt seit 1983 im
Schrank. Was ist die wert?"
oder noch schlimmer:
"Ich habe da eine alte Camera,
im Topzustand, vom Opa geeerbt. Keine Ahnung wie sie
funktioniert, ich weiß nicht mal wie man da einen Film
einlegt. Aber dass sie funktioniert weiß ich ganz
sicher. Schliesslich hat mein Opa seine Sachen optimal
gepflegt. Sie lag zwar auf dem zugigen Dachboden in einer
stockigen Pappschachtel, das kann ihr aber nicht geschadet
haben. Sie ist in einem Top-Zustand. Was ist die
wert?"
Anfragen wie diese erhalte ich nicht zu selten. Gutmütig wie ich
bin, habe ich solche Fragen auch nach bestem Wissen und Gewissen
beantwortet.
Das Ergebnis war dann entweder: Die Camera war eine Woche später
in ebay, mit dem Hinweis, ein Experte hätte den Wert auf so und so
hoch eingeschätzt.
Oder: Der Fragesteller war verschnupft ob der Antwort. Er hatte
damit gerechnet eine wesentlich höhere Summe genannt zu bekommen.
Der nettgemeinte Hinweis, dass man mit der Camera ja auch ganz
passabel fotografieren könne und sie vielleicht ein Andenken an
den Opa darstellt, war in dem Zusammenhang am wenigsten
interessant.
Deswegen gebe ich jetzt nur noch einen Hinweis auf die Preissuche
bei ebay. Man kann viel gegen ebay sagen, aber es ist ein
unbestechlicher Marktplatz. Ich empfehle auch, das zu verkaufende
Gerät dort objektiv und genau zu beschreiben, nichts zu
beschönigen, und mit wirklich guten, aussagefähigen Bildern zu
versehen. Und das Ganze mit 1,- Anfangsgebot
einzustellen. Was dort verkauft wird, ist sehr wahrscheinlich genau
das wert, was auf dem internationalen Marktplatz dafür
geboten wurde. Und was dort nicht verkauft wurde, ist
sehr wahrscheinlich gar nichts wert. (Soweit es den
monetären Wert betrifft!)
WIE BITTE?!, antworten Sie da?
-
Also zunächst mal: Markt-1x1
Cameras für Film wurden zu Millionen gebaut. Die
Preise waren relativ hoch, d.h. angemessen für die
feinmechanischen Wunderwerke, die sie teils darstellen. Da
wurde schon mal ein halber Monatslohn für bezahlt. Das bezahlt
heutzutage (wo man mit Smartphones Bilder
hinbekommt, die den meisten Anforderungen genügen) kaum noch
einer für eine Camera.
Was wurde aus diesen Millionen Cameras?
10% gingen kaputt und wurden weggeschmissen. 20% gingen kaputt
und wurden auf Dachböden gelagert. 80% haben in den letzten
Jahren keinen Film mehr gesehen weil alle längst digital
fotografieren. Und etwa die Hälfte davon funktionieren nicht
mehr richtig, weil sich durch die Nichtbenutzung Schmiermittel
verflüchtigt haben usw. Kleine Fotogeschäfte die eine Camera
noch auseinander nehmen konnten um eine Wartung vorzunehmen
gibt es fast nicht mehr. Und niemand lässt eine Wartung bei
einer Camera machen die nicht benutzt wird. Man kann grob
sagen dass 3/4 der "Wald- und Wiesen" Cameras seit der
Nachkriegszeit (ab 1948) noch existieren und 1/3 davon
halbwegs funktioniert. Also immer noch Millionen. Die
liegen fast alle in irgendwelchen Dachböden, Garagen,
Schrankfächern. Und nur sehr wenige stehen in Vitrinen.
Eine ganz andere Situation als beispielsweise mit alten Autos.
Die wurden fast alle benutzt bis sie auseinander fielen oder
verrosteten. Dann wurden sie verschrottet. Von manchen
Modellen haben weniger als 1% überlebt. Von Mercedes und
Porsche natürlich mehr. Aber auch bei diesen oft mehr, als es
Sammler gibt, die einen kaufen wollen. Jedenfalls zum vom
Verkäufer erwarteten Preis.
Wieviele Sammler und Liebhaber alter Cameras gibt
es : Auch Millionen? Falsch. Es sind nur Zehntausende.
In Deutschland sterben sie langsam weg, denn Sammeln von
Cameras ist ein Hobby meist alter Männer. In China kommen
dafür neue nach. Aber die sammeln nicht unbedingt das, was auf
deutschen Dachböden herumliegt.
Was folgt daraus für den Markt, und die Preise? -- Das
müsste sich jetzt eigentlich jeder selbst ausrechnen können.
Die Preise fallen. Sie halbieren sich. Und halbieren
sich nochmal. Und nochmal. Es ist wie mit Wertpapieren in der
Baisse. Es gibt keine Grenze nach unten. Wer selbst
entsprechende Wertpapiere hält, und meint, die Preise können
irgendwann nicht mehr weiter fallen, weil sie ja schliesslich
schon so weit gefallen sind, der irrt gründlich. Und ist kurz
davor, noch mehr Geld zu verlieren als er schon
verloren hat.
Cameras sind somit als Geldanlage untauglich.
Wie mach(t)en es denn die Profi-Händler?
Als es noch Fotogeschäfte in unseren Innenstädten gab - in
jeder Kleinstadt gab es eins! - gab es dort auch die
"Gelegenheiten" mit Gebrauchtkameras. Meistens eine
Schaufensterscheibe etwas an der Seite. Da konnte man sich
wunderbar die Nase dran plattdrücken. Die aufgerufenen Preise
waren für das Gebotene fast immer zu hoch. Wenn
man ein Jahr später wieder vorbeikam war dann die Camera oder das
Objektiv immer noch da, zum gleichen Preis. Und drei neue dazu.
Nach fünf Jahren, waren sie immer noch da. Preise mittlerweile
inflationsangepasst erhöht. Und im Schaufenster stand noch viel
mehr rum.
Nach zehn Jahren war dann der ganze Laden weg.
Irgendjemand der rechtzeitig zur Stelle war hat den ganzen Kram
dann wirklich sehr billig bekommen. Es war dann jahrelang
eine Videothek drin, und heute steht er leer, wie die Hälfte der
Läden in der Straße.
Manche bedauern das. Ich nicht. Wer vom Handel mit etwas
leben will, sollte zumindest einen Mehrwert dazu bieten können.
Wer heutzutage Cameras, die die ganze Fotowelt kennt, zum
Festpreis in ebay reinstellt macht es demzufolge genauso. Er meint
besser zu wissen was es wert ist als der Markt. Das Schaufenster
kostete jeden Monat, und die nicht verkauften ebay Anzeigen zum
Festpreis auch. Das Ergebnis ist dasselbe. Das ganze "lohnt" sich
also bestenfalls in steuerlicher Hinsicht als gewinnmindernde
Ausgaben - wenn ich denn einen Gewinn habe.
Die Kunst des Handels mit Photographica - was etwas
anderes ist als Foto-Ramsch, den man zu 99% auf Dachböden
findet - ist etwas ganz anderes. Sie besteht zu mindestens 80%
darin, etwas, das nahezu niemand kaufen wollte, als es neu
war - weil es entweder hoffnungslos überteuert war, oder
schlicht nichts taugte - heutzutage als "gesuchte Rarität" und
begehrenswert darzustellen, und ein Geheimnis oder
"Mythos" drum zu stricken. Verschwörungstheorien sind auch
beliebt. Man hatte das beste Produkt, aber irgend jemand oder die
Konkurrenz gemeinsam hat den Anbieter fertig gemacht. Und zwar so
überzeugend dass potentielle Käufer daran glauben. Das ist kein
Job oder ein Hobby das Spaß macht. An solchen Geschichten können
viele mitverdienen. Die Wahrheit war meistens sehr viel
prosaischer, und ist weniger unterhaltsam zu lesen oder anzuhören.
Ausnahmen
Manche Cameras (z.B. die meisten Leica-Modelle) wurden nichtzu Hunderttausenden oder Millionen hergestellt. Solche Cameras
kann man sammeln. Die Läden in denen hauptsächlich gebrauchte
Leicas standen, hat es allerdings genauso erwischt wie die
anderen. Sammeln kann man sie, wenn man sich nicht drum schert,
dass tausende andere genau dasselbe sammeln und in fast
jeder Vitrine Leicas stehen. Sammlerwürdig sind aber auch
Spitzenprodukte anderer Hersteller die in eher geringen Stückzahlen
hergestellt wurden - auch historische Cameras
aus Japan aus der Zeit der fünziger Jahre, die auch
handwerklich sehr schön gemacht sind, und ein auch den heutigen
Menschen ansprechendes Äußeres haben, das vielfach stilbildend
wurde. Dass sich jemals genug Sammler für hunderttausendfach
gebaute typische "Zeiss-Ikon-Briketts" finden würden (geschweige
denn Marken deren Namen heute kaum noch jemand kennt) darf indes
ernstlich bezweifelt werden.
Der neue Markt
Das sind Länder in denen die Menschen jetzt zu Wohlstand
kommen und sich ein Hobby leisten können. Also z.B. aus China.
Diese sammeln, und werden künftig verstärkt sammeln, was auch in
reichen Ländern schon gesammelt wird. Weniger unbekanntes, denn
das erhöht nicht den Status des Sammlers. Wenn sie
dann eine Weile gesammelt haben, werden sie (genau wie die Sammler
hierzulande) feststellen:
Leute die sich nicht mit Cameras auskennen und einem als
Besucher in die Vitrinen schauen, können den Unterschied
zwischen teuren und billigen Cameras nicht erkennen, aber sehr
wohl den zwischen gutaussehenden und hässlichen,
Es macht einfach mehr Spaß, und liefert einem auch mehr
Anerkennung, sich in einem neuen, eher "unbekannten"
Sammelgebiet zu tummeln und einzuarbeiten, als dort wo seit
Jahrzehnten alles zu geschrieben wurde und nur noch neu
aufgekocht wird. Wo es passieren kann, dass man in Foren
angerotzt wird, dass das, was man meint entdeckt zu haben,
doch schon in einem Buch vor 30 Jahren geschrieben wurde --
welches zwar vergriffen ist, der Antwortschreiber in einem
anderen Teil des Forums aber zufällig zum fünffachen Neupreis
verkaufen möchte.
Wer mit Leuten aus den aufstrebenden Ländern "Geschäfte"
macht, der wird wohl auch nicht reich damit. Zuerst muss er ja mal
genug "Plus" machen um die 9% ebay- und 3% Papyal Provisionen zu
verdienen. Der darf sich, zweitens, nicht wundern, wenn Paypal ihm
das schon bezahlte Geld nach 2 Wochen wieder wegnimmt, vielleicht
weil der Käufer auf dem 60 Jahre alten Objektiv einen kleinen
Kratzer gefunden hat und nun einen Riesen-Aufstand anzettelt, weil
er dachte er bekäme eins neuer als aus der Fabrik. Selbst wenn
manche keine Ahnung von ihrem Sammelgebiet (oder den Preisen)
haben: Wie man sich sein Geld bei Paypal zurückholt, das haben sie
meist besser drauf als wir vertrottelten Mitteleuropäer. Und
können wir es ebay oder Paypal wirklich verübeln, wenn sie sich
auf die Seite derer stellen, mit denen sie in Zukunft den größten
Teil ihres Business abwickeln werden?
Ich handle nicht mit Cameras. Ich kaufe nichts.
Ich gebe keine kostenlosen Gutachten.