"Hilfe, mein Superweitwinkel Objektiv vignettiert..!"
Eingebaute Limits von extrem weitwinkligen Objektiven
(c) Frank Mechelhoff
                                                          NEW 4. Okt. 2005  (Update Nov. 2012)                              this page in English en  language

In früheren Zeiten der Fotografie waren Weitwinkelobjektive mit mehr als 75° Bildwinkel für den typischen Amateurphotographen entweder sehr teuer, schwer, selten, lichtschwach, nicht verfügbar - oder alles zusammen. Dieser unerfreuliche Tatbestand hat sich in den letzten Jahren geändert. Aber nicht alle die die gesunkenen Preise für ein extrem weitwinkliges Objektiv (z.B. 21 oder 15mm im Kleinbildformat) bezahlen können, wissen hinreichend Bescheid über deren spezielle Physik, wie dies frühere Profis noch wussten, und dies auch in optischen Büchern seit den Anfängen der photographischen Wissenschaft beschrieben wurde. Anstatt sich an den richtigen Stellen kundig zu machen, klagen manche dieser User in Internetforen und Communities über "Vignettierung" oder "Color Shift" bestimmter Objektive und stellen Mutmaßungen über deren Leistung an, die tatsächlich nicht dem Objektivdesigner oder der Firma die diese herstellt anzulasten sind sondern dem Benutzer, der nicht genügend über die physikalisch bedingten Grenzen dieser Objektive weiß.

Als erstes müssen wir zwei physikalische Fakten auseinander halten. Es ist OK einen optischen Begriff wie "Vignettierung" im Alltagssprachgebrauch unpräzise zu benutzen auch wenn Physiker dabei missbilligend die Augenbrauen haben - damit jeder versteht was gemeint ist. Aber wenn wir herangehen die Ursachen für ein spezielles Verhalten herauszufinden, müssen wir -leider leider - tiefer ins Detail gehen und hinterfragen ob es wirklich Vignettierung ist, was uns unerfreuliche Bildergebnnisse beschert, oder andere Ursachen. Wir müssen herausfinden, wie und warum ein Objektiv Lichttabfall zu den Ecken hin zeigt.

Vignettierung bedeutet dass der Lichtstrom durch das Objektiv zum Film durch Hindernisse physisch eingeschränkt wird - also entweder vor dem Objektiv (durch eine zu enge Sonnenblende, die Finger des Fotografen oder andere Dinge), im Objektiv selbst (zu kleine Linsen, Teile der Objektivfassung, zu enger Zentralverschluß bei Linsen die einen solchen eingebaut haben) - oder hinter dem Objektiv (nicht korrekt funktionierender Schlitzverschluß, andere Hindernisse zwischen Hinterlinse und Film). Ich weiß von keinem Objektiv im derzeitigen Verkaufsangebot für SLR oder RF-Cameras mit eingebauten Fehlern. Aber wenn man sich Leistungsdiagramme anschaut von Firmen die in der ganzen Welt bekannt sind für die hervorragende Qualität ihrer Objektive wie LEICA oder ZEISS, und diese (löblicherweise) für ihre Objektive publizieren, sieht man öfter Diagramme wie dieses:

light
              falloff
Dieses Diagramm (untere Kurve) besagt dass von 100% der Ausleuchtung eines Negativs in der Mitte (0mm)  weniger als 25% in den äußersten Ecken (21mm von der Mitte) bei der größten Blende des Objektivs vorhanden sind - was bei einer gleichmässig ausgeleuchteten Fläche einer Unterbelichtung von 2 Blendenstufen entspricht. Schade wenn Sie Diafilm in der Camera haben..!
Interessanterweise verringert sich der Lichtverlust zu den Ecken hin um ein erhebliches, sobald auch nur ein bißchen abgeblendet wird, und bei Abblendung um 3 Stufen beträgt der Randabfall nur noch 1 Blendenstufe (obere Kurve)
Das betreffende Objektiv ist ein neueres, hervorragend konstruiertes 21mm Weitwinkel mit relativ hoher Lichtstärke vom Typ Retrofocus.
Diese Form von alltagssprachlich "Vignettierung" ist unvermeidbar, und tritt auch bei den best konstruierten Weitwinkel-Objektiven auf. Wenn es sich um physikalische Vignettierung handeln würde könnte der Objektivkonstrukteur sie vermeiden. Er kann es nicht. Der einzige der sie vermeiden kann, ist der Fotograf. Entweder er vermeidet extreme Weitwinkel zu benutzen, oder kritische Motive bei denen Lichtabfall sichtbar wird, oder blendet das Objektiv um 2-3 Blendenstufen ab, oder ändert den Hintergrund - oder/und benutzt Film mit größeren Belichtungstoleranzen.

Lichtabfall ist nicht dasselbe wie Vignettierung. Es bedeutet eine mehr oder weniger konstante Verminderung des Lichtstroms vom Zentrum zu den Ecken hin wie obiges Diagramm zeigt. Für den Fotografen hat es allerdings oft dasselbe unerfreuliche Resultat, nämlich abgedunkelte Ecken. Im obigen Fall sprechen wir über (zu einem gewissen Ausmaß unvermeidlichen) Lichtabfall, nicht über Vignettierung, die immer durch konstruktive Maßnahmen o.ä. vermeiddbar ist.

Das "Cos4 Gesetz"
besagt dass Lichtabfall in den Ecken ansteigt wenn der Bildwinkel ansteigt, auch wenn das Objektiv komplett frei von Vignettierung ist. Die äußeren Teile des Bildes entstehen durch Gruppen von Lichtstrahlen die einen bestimmten Winkel zur optischen Achse bilden, und der Lichtabfall dieses Bereichs ist proportional zum Cosinus dieses Winkels potenziert mit vier! Das heißt, mit jedem zusätzlichen Grad Bildwinkel wird er stärker. Ein 15mm Weitwinkel hat also einen wesentlich stärkeren Lichtabfall als ein 21mm, und ein 12mm wieder wesentlich mehr. Da dies ein physikalisches Gesetz ist, ist er unvermeidbar. Allerdings kann bei Weitwinkelobjektiven mit großem Bildwinkel der Lichtabfall zum Bildrand vermieden werden durch Steigerung der Lichtstärkeneffizienz - das ist das Verhältnis der Eintrittspupille der optischen Achse zur Eintrittspupille der äußeren [peripheren] Lichtstrahlen. (Das wird im nächsten Abschnitt erklärt)
 
Was kann ein Objektivkonstrukteur tun um Lichtabfall zu vermeiden?

Erstens kann er den Abstand des letzten Glaselements von der Filmebene erhöhen und damit den Austrittswinkel der Lichtstrahlen aus dem Objektiv, auf den Film verringern (auch wenn damit der Eintrittswinkel unverändert bleibt). Dieser Abstand wird auch mit dem Fachbegriff hintere Schnittweite bezeichnet. Diese Art Design, üblicherweise bei SLR Weitwinkelobjektiven angewandt um den erforderlichen Raum für die Bewegung des Spiegels zu gewinnen, wird Retrofocus-Design genannt und wurde erfunden von Angenieux and Voigtlander um 1950 herum. Alle Kleinbildobjektive mit 35mm Brennweite und darunter sind auf diese Weise konstruiert, ausgenommen ein paar ganz wenige (frühe Designs) die nur mit hochgeklapptem Spiegel und separatem Aufstecksucher benutzt werden können. Dieses Design resultiert jedoch in einer komplizierteren Berechnung, üblicherweise mehr Glas-Elemente, und macht das Objektiv länger und schwerer.
Zweitens kann er das Frontelement vergrössern um mehr schräge Lichtsrahlen im peripheren Bildteil (Ecken) einzufangen - es also größer machen als die Lichtstärke eigentlich erfordert. Diese beiden Methoden werden oft kombiniert. Mit einer Vergrößerung der Frontelemente gehen aber ebenfalls Nachteile einher: Das Objektiv wird anfälliger für Streulicht, wird breiter (größere Fassung erforderlich), schwerer und teurer.
Zusammenfassung für Benutzer von kompakten Weitwinkelobjektiven für Messsucher-Cameras: Als Benutzer kleiner, kompakter, leichtgewichtiger und relativ günstiger Objektive, muß man mit dem natürlichen Lichtabfall leben und lernen damit umzugehen, oder einen anderen Typ Objektiv kaufen, und herumtragen - Punkt.


Was ist mit der Motivausleuchtung?
Bei einem weiten Bildwinkel ist die Ausleuchtung sehr oft nicht gleichmässig über den gesamten Bildbereich - besonders im Außenbereich bei heller Sonne (sowohl bei wolkenlosem als auch gering bewölktem Himmel). Da das menschliche Auge nur einen schmalen Bildwinkel sehr scharf sieht und zur Erfassung eines breiten Winkels schnell hin und her blickt auch ohne Beteiligung vom Willen beeinflusster Muskeln, setzt unser Sehzentrum im Gehirn die unterschiedlichen Bilder zusammen und korrigiert dabei die Belichtungswerte entsprechend unserem früheren Wissen darüber wie z.B. ein blauer Himmel aussehen sollte, um starke Kontraste zu vermeiden. Die Camera kann das nicht. Um es noch schlimmer zu machen, von der Perspektive eines auf der Erde stehenden Menschen ist der Himmel eine Kugel - und wie wir bereits aus der Optik wissen, reflektieren die Lichtbündel aus unterschiedlichen Winkeln des "blauen Himmels" mit unterschiedlicher Stärke, resultierend in einem Lichtabfall peripher zur Sonne und zum Betrachter. Traurig zu sagen, aber der "schöne gleichmässig ausgeleuchtete blaue Himmel" ist eigentlich eine Sinnestäuschung unseres Sehzentrums! Es benutzt das  Himmelsblau quasi wie eine "Graukarte" damit alle für den Menschen wichtigen Objekte am Boden gut und mit ausreichendem, jedoch nicht zuviel Kontrast "ausbelichtet" sind. Der Film als unbefangenerer, weniger gefühlvoller Beobachter ist dazu nicht in der Lage, resultierend in ungleichmässig ausgeleuchtetem Himmel bei Bildwinkeln von 90° oder mehr (z.B. mit 21, 15 oder 12mm Kleinbildobjektiven)
Dieser Lichtabfall addiert sich zum oben genannten hinzu! Deshalb vorsichtig mit solchen Objektiven bei heller Sonne, oder anderweitig ungleichmässig ausgeleuchteten Motiven..! Das Titelbild meiner Camera-Seite wurde mit dem 15mm Heliar bei diesigem Himmel fotografiert. Der eignet sich nach meinen Erfahrungen für Landschaftsaufnahmen mit Utraweitwinkeln wesentlich besser als strahlende Sonne...

Was zum Teufel ist gemeint mit "Natürlicher Perspektive"?
Es bedeutet dass ein Papierbild oder eine Projektion aus demselben Abstand betrachtet werden soll wie die Originalszene damit sich ein "natürliches Bild" ergibt  Nur deshalb vergrößern wir Negative und stellen Abzüge her weil es uns nicht möglich ist mit den Augen nahe genug heranzugehen. Es bedeutet auch, dass der natürlichste Eindruck entsteht wenn wir einen Papierabzug aus einer Entfernung betrachten der dem Bildwinkel der Originalszene entspricht - was bei Landschafts- oder Architekturaufnahmen beachtet werden sollte wenn nicht besonders gewollte bildliche Effekte dagegen sprechen. Außerdem sollte die Camera beim Aufnehmen gerader Gegenstände wie Türme nicht gekippt werden bloß um die Spitze eines Turmes einzufangen damit keine "stürzenden Linien" entstehen. Diese entsprechen zwar der "Natürlichen Perspektive" aber nicht unserem Wissen über den Bau von Türmen oder anderen hohen Gebäuden. Außerdem kann insbesondere mit Superweitwinkel-Objektiven fotografierten Objekten unnatürliche Verzerrung entstehen (nicht Verzeichnung) dadurch dass nahe bzw. mittig positionierte Objekte größer dargestellt werden als entfernte, oder periphere. All diese Erscheinungen lassen sich um des bildlichen Effekts willen verstärken oder bewußt herbeiführen, daher sind diese "Regeln" keine festen Gesetze. Bloß um das tun zu können, muss man sie erstmal kennen.
Und vor allem, bitte die Schuld nicht dem Objektiv geben bei einem Bild wie dem unteren, wegen der "Verzeichnung"...!
Die natürliche Perspektive ist noch aus einem anderen Grund wichtig. Um denselben Bildwinkel aufzunehmen wie ein 15mm KB-Objektiv müsste man elf Bilder mit einem 50mm Standardobjektiv machen und dann randlos aneinander kopieren und entzerren (z.B. digital mit einer entsprechenden Software). Die Bildfläche ist also 11x grösser. Wenn ich nun gewohnt bin Abzüge im Format 10x15 cm zu bestellen, wird der gesamte Bildwinkel auf ein sehr kleines Stück Papier gepresst. Entspricht das dem "natürlichen Eindruck" den ich beim Betrachten der Szenerie hatte? Natürlich nicht, denn das Papierstück kann ich mit einem Blick erfassen, während ich für den 110° Bildwinkel mehrere Sekunden brauchte und dazu nicht bloß die Augen- sondern auch die Halsmuskeln bewegen musste. Daher ist es unnatütlich diesen Bildwinkel auf ein so kleines Stück Papier zu pressen. Alle oben genannten optischen Fehler werden verschärft sichtbar, die Motiv-Details verschwinden usw. Um die natürliche Perspektive zu erhalten, sollte das Bild idealerweise11x so groß abgezogen werden wie ein 50mm Bild - 30x40cm oder mindestens 20x30, und aus dem gleichen Abstand betrachtet - oder projiziert. Mein erstes Superweitwinkel war ein 15mm Heliar an einer Bessa-L 1999, mein einziges Objektiv an dieser Camera damals. Mein erster Film, abgezogen auf meinem "Standardformat" 13x18, sah komplett gleich enttäuschend aus. Die erste Sache die ich mit dieser Camera lernte, war: Bestell grössere Abzüge! Es funktioniert.


Was ist denn "Verzeichnung" anderes als perspektivische Verzerrung?

Verzeichnung ist ein optischer Fehler eines Objektivs. Der Fotograf kann, jedenfalls bei der Aufnahme, absolut nichts dagegen tun (es gibt Bildbearbeitungssoftware die das kann). Verzeichnung kann bei allen Typen von Objektiven auftreten. Besonders störend tritt sie auf bei schlecht konstruierten oder einigen älteren Weitwinkelobjektiven und Zooms. Das Resultat ist, dass horizontale und vertikale Linien gerade aufgenommen vor der Camera nicht gerade sondern mehr oder minder durchgebogen erscheinen. Wenn man sich eine Ziegelmauer 10m entfernt vor der Camera vorstellt, kann diese entweder in der Mitte eingebogen (kissenförmig), oder ausgebogen (tonnenförmig) verzeichnet dargestellt werden. Möglich ist auch eine Kombination aus beidem, oder bei Zooms, ein Wechsel zwischen beiden bei Wechsel der Brennweite. Die extremste Form (beabsichtigter) tonnenförmiger Verzeichnung ist die bei einem Fish-eye-Weitwinkel. Bei einem aufgenommenen Bildwinkel von 180° ist diese Verzeichnung erforderlich. Offensichtlich würde das benötigte Filmformat zur verzeichnungsfreien Abbildung dieses Bildwinkels sonst unendlich gross sein...

distortion
falling
              lines
Links: unverzeichnetes Originalbild einer Mauer gebaut von einem blutigen Anfänger (oben) und extreme tonnenförmige Verzeichnung dieses Bildes (unten)

Mitte: Perspektivische Verzerrung eines ansonsten verzeichnungsfreien Bildes mit weitem Bildwinkel und stark stüzenden Linien.
Wenn man dieses Bild stark vergrössert und zum Betrachten nahe genug herangeht (bitte nicht am Bildschirm!) verschwinden die stürzenden Linien und der Bildwinkel wird "natürlich"


Ist bei einer Digitalcamera die Vignettierung, äh.. der Randabfall beim selben Bildwinkel ganuso stark ?

Er kann gleich sein oder auch stärker. Film ist relativ ähnlich empfindlich egal ob der Lichtstrahl lotrecht, oder schräg einfällt. Der hierbei entstendende Lichtabfall ist minimal. Das ist bei digitalen Chips, bedingt durch ihre komplexere Bauweise, meist nicht so.Die Schräglichtempfindlichkeit der meisten digitalen Chips ist geringer, sodass bei Objektiven mit weitem Austrittswinkel und geringem hinteren Linsenabstand (kurze Schnittweite) Vorsicht geboten ist. Manche Camerahersteller geben eine Mindest-Schnittweite hierfür an, die mit den Daten der Objektivhersteller abzugleichen sind.


Update: Und was ist "Color Shift"?
Color Shift ist die aus Randabfall und dem Durchgang der Lichtstrahlen durch dickeres Glas an den Objektivrändern, gegenüber der Mitte, resultierende Verschiebung im optischen Spektrum, was durch Farbverschiebung in Richtung Lila (Magenta) sichtbar wird. Während der Randabfall von modernen digitalen Cameras meist schon automatisch korrigiert wird (oft schon ohne Zutun des Benutzers im RAW-Bild) ist dies mit Farbverschiebung in den Ecken nicht ohne weiteres möglich. Es handelt sich aber grundsätzlich um keine neue Erscheinung, sondern ist auch bei Film beobachtbar, wenn stärkerer Randabfall auftritt. Bei Sensoren mit extremer Pixeldichte und besonderer Schräglichtempfindlichkeit tritt der Effekt meist besonders stark auf.
Bei nicht adaptierten, EXIF-Daten an die Camera übertragenden Objektiven, sollte die Camera in der Lage sein, beide Effekte (Randabfall und Color Shift) herauszurechnen, ggf. noch vor Erstellung der RAW-Bilder. Die Beobachtung zeigt, dass einige moderne Cameras den Randabfall auch bei mechanisch adaptierten Objektiven (ohne EXIF) im gewissen Umfang auszukorrigieren imstande sind. Farbverschiebung ist für viele aber noch ein Problem.


Bild mit dem C/V Heliar 15/4.5, adaptiert an einer SONY NEX3 (14.2 Megapixel, Auflösung entsprechend 196 Pixel/mm). Effektiver Wildwinkel 86,5°, analog zu 23mm Kleinbild. Sonne von links,
(leichte) Farbverschiebung/Color Shift sichtbar oben rechts. Randabfall kaum sichtbar.


Link: Photographisch sinnvolle Verwendung extremer Weitwinkelobjektive


contact:
taunusreiter "at" yahoo de
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