Lichtstarke Weitwinkel Objektive ab 1950             English version

by Frank Mechelhoff                 Neu Februar 2023

Canon and Nikon Wideangle 35/1.8

CANON L-1 mit 35/1.8 (schwarz) neben NIKON SP mit W-Nikkor 3.5cm f/1.8.

Die ersten lichtstarken 35mm Weitwinkel

In der Vorkriegs- und frühen Nachkriegszeit bis Anfang der 1950'er Jahre war das ZEISS Biogon 35/2.8 der Goldstandard in Sachen Leistung und Lichtstärke, mit seiner großen, weit zurückragenden Hinterlinse aber ungünstig in der Handhabung.
1951 stellte NIKON ein neues, lichtstärkeres 35mm mit f/2.5 vor, das auch qualitativ überzeugte. Zeitgleich machte die Entwicklung neuerer Glassorten mit höherem Brechungsindex und niedriger Dispersion Fortschritte (Lanthanium Gläser), was komplexere Designs erlaubte.
1956 patentierten CANON und NIKON je ein 35mm mit f/1.8. Die Patentschrift von Canon (Erfinder: Jiro Mukai) wurde 5 Monate früher eingereicht und zeigte einen 7-Linser in 4 Gruppen, darunter ein verkittetes Triplet hinter der Blende. Es waren Aberrationskurven angegeben, allerdings nur bis 30° Bildwinkel - ein 35mm Kleinbild hat 63°, also 2x 31.5°. Zu NIKONs Patentschrift waren keine Aberrationskurven angegeben, der Linsenschnitt zeigt ein Biometar-Typ mit angehängtem, sammelndem Doublet mit großer Hinterlinse. Auch die Vorderlinse des NIKKOR ist im Durchmesser größer.

Patent Mukai 35mm f/1.8
Patent US
2854890A, CANON/ Jiro Mukai, eingereicht 1956-01-04 (in Deutschland 3 Tage später)
Hochbrechende Gläser: max N=1.6935 V=53.5 (LaK, letztes Element)
Nikon
                Patentschrift
Patent US US2896506A, NIKON/ Hideo Azuma, eingereicht1956-06-05
Stärker hochbrechende Gläser: max N=1.785 V=25.9 (SF, letztes Element) und N=1.691 V=54.1 (LaK, vorletztes Element)


Nikon, Canon 35/1.8
Links Nikon (S-Mount), rechts Canon (LTM).

Nikon, Canon 35/1.8
Links Nikon (S-Mount), rechts Canon (LTM).

Das CANON 35mm/1:1.8 hier ist die seltene schwarze Version, die mit den wenigen schwarzen Cameras mitverkauft wurde. Seit 1956 baute CANON die erste Meßsuchercamera mit 35mm Sucher - die VT - ein Jahr vor der LEICA M2! Die Cameras dieser Serie (VT, VTDL, VL, L1-L3) hatten umschaltbare Suchervergrößerung: 35mm, 50mm und "RF" (100-135mm), ohne Leuchtrahmen. Daher waren sie ab Preisliste auch mit 35mm Objektiv zu bekommen, nicht nur mit 50mm.
 

Nikon, Canon 35/1.8
Links Nikon (S-Mount), rechts Canon (LTM).
Das W-NIKKOR hier ist auch ungewöhnlich wegen der metrischen Entfernungsskala, was bei Objektiven der S-Serie kaum vorkommt, die fast ausschließlich nur Feet-Scala haben.
Natürlich wird in Japan die metrische Skala verwendet, aber die Nikon Rangefinder Serie kostete 3/4 des Preises von LEICA, sie wurden für den Export gebaut (vorwiegend nach USA) und waren für eine nennenswerte inländische Nachfrage viel zu teuer.

Nikon SP, Canon L1

Lens brochure cover
Objektiv Broschüre, Prototyp mit anderem Blendenring und fehlendem f/2 Clickstop.
Usual
              black and silver version
Normale Version mit schwarzem Blenden und silbernen Fokusring. Es kostete in Japan 32.000 Yen.  Link zum CANON CAMERA MUSEUM

Viele NIKON Fans behaupten, "ihr" W-NIKKOR 35/1.8 sei das schnellste Weitwinkelobjektiv auf der Welt gewesen. Es sei im September 1956 auf den Markt gekommen (die Zeitangabe hat vermutlich Robert Rotoloni in die Welt gesetzt; er ist jedoch auch mit einigen anderen Einführungs-Zeitangaben zu zeitig). Tatsächlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass NIKON mit ihrem 35/1.8 früher am Markt war als CANON; viel wahrscheinlicher ist, dass es umgekehrt war :
Nach Miyazaki Yōj war das CANON 35mm f/1.8 ab April 1956 erhältlich, gemäß Peter Kitchingman ab Mai 1956.

Canon 35mm f/1.8 black and silver
                                  version

In diesem Zusammenhang ist von Intresse, dass auch FUJINON 1956 ein lichtstarkes 35/2.0 Weitwinkel auf den Markz brachte, zusammen mit einem 50/1.2, beide in Leica Screwmount.
In jedem Fall setzte CANON nur 2 Jahre später noch eins drauf, das 35/1.5 (Link im CANON Camera Museum). Dessen Patent wurde am 31.07.1957 eingereicht, Erfinder wiederum Jiro Mukai (Link zum Patent bei Google)

Canon
              35mm f/1.5 an Canon P
Canon
              35mm f/1.5

Canon Patent
            35mm f/1.4

Das Patent zeigt saubere Aberrationskurven bis 32 ° Bildwinkel. Das Objektiv (Kostenpunkt 35.000 Yen) ist eine Weiterentwicklung des 35/1.8, mit zum Doublet gesplitteter Vorderlinse (ähnlich dem damaligen Summicron und Nokton 50mm Objektiven von Leica und Voigtländer). Es wurden hochbrechendere Gläser verwendet als beim 35/1.8: max N=1.72 V=50.31 (LaK, letztes Element). Die Leistung des Objektivs war im Nahbereich bei offener Blende ganz gut, allerdings war es sehr streulichtanfällig. Vermutlich deswegen wurde die Lichtstärke auch auf f/1.5 begrenzt (Um 2006 herum ist auf Yahoo Auctions in Japan mal ein Prototyp versteigert worden, der tatsächlich mit f/1.4 gelabelt war). Auch von NIKON ist ein 35/1.4 Prototyp bekannt.


Bis heute ist das CANON 35mm 1:1.5 das lichtstärkste in Leica Screwount (LTM, M39)

Canon L1 w.
                      35/1.5

LEICA brauchte jedenfalls bis 1961 um nachzuziehen
, bzw. den Spitzenplatz wieder einzunehmen, wobei das erste f/2 Summicron bereits 1958 herauskam.
Das Patent US2975673A wurde am 26.08.1959 von LEITZ CANADA eingereicht - Link bei Google - Erfinder waren Walter Mandler und Erich Wagner. Anstatt 8 Linsen wie beim CANON und dem eigenen f/2-Summicron, nur 7 Linsen in 5 Gruppen. Die Vorderlinse war gegenüber dem CANON 35/1.5 beträchtlich kleiner um Streulichtempfindlichkeit zu reduzieren. Leistungsmäßig konnte man das CANON dennoch nicht in den Schatten stellen ("King of Flare"); das Objektiv blieb bis 1993 im Programm!
Extrem hochbrechende Gläser: max N=1.72056 V=47.59 (LaF, letztes Element) und max. N=1.7899 V=48  (LaF, 2x)

Summilux first version
Summilux 35mm f/1.4 1961 diagram

MTF Diagramme von Erwin Puts, Leica Compendium, 3rd ed 2011.
MTF Summilux 35mm f/1.4
          1961-1993

Nachgeschichte

Erst in den frühen 1970'er Jahren zogen die Hersteller von SLR Objektiven in der Lichtstärke gleich, wobei für SLR Retrofocus-Designs verwendet werden mussten. Diese fielen bei NIKON noch einigermaßen gut tragbar, bei ZEISS jedoch sehr groß und gewichtig aus. PENTAX verzichtete ganz auf ein 35/1.4.

3x Nokton 35/1.2 M-Mount

Es dauerte bis 2003, bis COSINA/ Voigtländer ein noch lichtstärkeres 35mm auf den Markt brachte, das bis heute das lichtstärkste 35mm Weitwinkel der Welt ist, nunmehr in der 3. - optisch 2. - Ausführung.

Quellen:

CANON Sales Brochure (Prices effective as of March 1956) : Enthält die neue Canon V (T) and 35/1.8  Das Objektiv kostete 150 USD incl. US-Einfuhrsteuer (Sucher und Tasche extra) oder 350 USD mit der Canon V als Set. Außerdem waren die folgenden neuen Objektive aufgeführt: 25/3.5, 28/2.8, 50/1.2, 50/1.8-II und 400/5.6. Eine 5-jährige Garantie war eingeschlossen!

Canon
            V with 35mm f1.8 from brochure


Canon Lenses, Brochure 1958 - dieses zeigt ausdrücklich, dass es im Jahr 1958 noch kein 50/1.4 existierte -  Wie auch immer, es existiert kein 8-linsiges Canon LTM 50/1.4. Der dafür manchmal ausgewiesene Linsenschnitt ist tatsächlich das irrtümlich zugeordnete FUJINON 50/1.2


Robert Rotoloni, Nikon Rangefinder Cameras, London 1993.

Peter Kitchingman, Canon M39 Lenses 1939-1971. A Collector's Guide, 2008

Peter Dechert, Canon Rangefinder Cameras 1933-1968,
Hove/East Sussex, 1985

Canon Camera Museum : Gibt Mai 1957 für die Markteinführung des 35/1.8 an. Ist aber auch bei anderen Datümern nicht ganz zuverlässig, nennt z.B. für das 50/1.4 LTM auch 1957 anstatt 1959.

Pacificrimcamera Canon Rangefinder Sales Brochures

Miyazaki Yōji (宮崎洋司) (キヤノンレンジファインダーカメラ) / Canon Rangefinder Camera. Tokyo: Asahi Sonorama, 1996

Randol Hooper: The Other 35. The Screwmount Canon Lenses, Article Series for LHSA, ~1995 (Ursprung des obenerwähnten Gerüchts vom 8-linsigen 50/1.4)

Canon Lenses, Directions and Tables, Brochure No. 327, 10/1956, Printed in Japan

Lens Brochure
            10/1956

Canon 35mm
            f1.8 ( SN10002) Prototype

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