Voigtländer

VOIGTLÄNDER Ultragon 60mm Rollfilm (6x9) Versuchskamera

(c) alle Bilder und Texte  :  Frank Mechelhoff        Neu auf der Seite Juli 2013

Versuchskamera 1

Am 11.Juni 1952 meldete Albrecht Wilhelm Tronnier ein 6-linsiges Weitwinkelobjektiv mit über 75° Bildwinkel und einer Lichtstärke von über 1:5.0 zum Patent an (DE1042264). Tronnier war damals freier Mitarbeiter bei Voigtländer und bezog sich in der Patentschrift auf eine eigene, 22 Jahre zurückliegende Erfindung, das ebenfalls 6-linsige ANGULON, für Joseph Schneider Kreuznach als er dort Leiter der Optischen Technik war. Das neue Objektiv sei nicht nur lichtstärker und weitwinkliger, sondern auch überlegen in der Korrektur der Abbildungsfehler, besonders am Bildrand. Tronnier, Meister der Logarithmentafeln und mechanischen Rechenmaschinen im Vor-Computer-Zeitalter, lebte und arbeitete überwiegend in Göttingen, 110 km von Braunschweig entfernt, und erfand auch das Xenon, Ultron und Nokton.

Ein Jahr zuvor hatte er ein ähnliches Weitwinkel, mit etwas kleinerem Bildkreis und geringerer Lichtstärke patentieren lassen, das unsymmetrisch aufgebaute, als ULTRAGON 1:5.5/ 115mm in Serie gegangene Objektiv, bloß 5-linsig, berechnet für den Bildkreis 5x7 Zoll. Für kleinere Bildkreise, insbesondere das verbeitete Mittelformat (6x6 bzw 6x9, die langgestreckten Panoramaformate waren damals noch nicht üblich) wurden beide nicht am Markt angeboten. Hier gab es das bewährte und kompakte Schneider Angulon 1:6.8/65mm, das aber schon etwas veraltet war und nur stark abgeblendet überzeugende Resultate brachte.
Und es gab das neue Zeiss BIOGON (gerechnet von Ludwig Bertele): Noch weitwinkliger (90° Bildwinkel) - sehr scharf, aber auch deutlich voluminöser und schwerer, und deswegen an leichteren Reisekameras nicht zu verwenden. Das Biogon leitete einen, bis heute gültigen Paradigmenwechsel ein, hin zu bauaufwendigen und schweren Weitwinkelobjektiven. Ihm folgte das SUPER-ANGULON von Schneider und das GRANDAGON von Rodenstock. Ihnen wäre durch das reisekamerataugliche ULTRAGON eine scharfe Konkurrenz entstanden.
Diagram
oben: Ultragon 60/4.5 - unten: Ultragon 115/5.5
Ultragon-1


weitwinkel Bessa
Das Voigtländer Ultragon hätte eine interessante Alternative sein können, leider wurde es mit kürzeren Brennweiten und für kleinere Bildformate nicht angeboten -  anders als Heliar oder Apo-Lanthar. Es hätte gut ins VOIGTLÄNDER-Programm gepasst, das noch bis zur Werkschliessung 1972 Großformatobjektive umfasste - aber inkonsequenterweise leider keine Weitwinkel.
Es gab lediglich eine Versuchskamera mit einem 1:4.5 f=60mm Ultragon, einer umgebauten Bessa-I, mit Einstellschnecke (1.5m bis unendlich) anstatt Klappmechanismus und Balgen. Bei 6x9 Bildformat entsprach dies einem Bildwinkel von 79,5°, analog zu etwa 26mm Kleinbild-Brennweite. Das Objektiv war in einem Synchro Compur Verschluß der (sehr kleinen) Größe 000 eingebaut, wie öfters in Kleinbild-Faltcameras wie der VITESSA zu finden. Das 1:6.8/65 Angulon, obwohl lichtschwächer und immer noch von kompakten Abmessungen, war dagegen für die Compur Größe 00 gefasst. Oberseite und der simple Durchsichtssucher der Bessa-I blieben bei der Versuchskamera unverändert, deswegen war ein klappbarer Brilliant-Spiegelsucher auf dem Zubehörschuh aufgesteckt. Durch Wegfall des Klappsystems/ Balgens war auch die Auslösung auf der Oberseite des Gehäuses obsolet, daher war der Auslöser direkt am Verschluss zu betätigen. Von solchen Kleinigkeiten abgesehen wirkte die Versuchskamera schon fast marktfreif und nicht "gebastelt". Belederung und Tragösen an der Camera-Vorderseite waren anders als bei der Bessa-I. In der Produktion hätte man nur die Deckelklappe verändern, einen Brilliantsucher und eine Auslösersteuerung einbauen müssen. Anstelle der stets etwas wackligen Faltcamera-Konstruktionen (was bei 6x9 regelmäßig in mangelhafter Eckenschärfe resultierte) gab es eine maschinenbaulich solide Konstruktion mit geringstmöglichem Spiel aller Elemente, wie bei den besten Kleinbildcameras. Und trotzdem war die WW-Bessa noch leicht tragbar.
Ein weiteres Versuchs-Ultragon (60mm) ging den Angaben Albrecht Tronniers zufolge zu Testzwecken an den Fachkamerahersteller LINHOF.



Das Ultragon war, wie die Bilder zeigen, äußerst klein und kompakt. Es hätte sich ideal gemacht an kleinen Reisekameras, an deren Standarte man keine schweren Biogone und Super-Angulone anbauen kann ohne dass diese "Schräglage" bekommen, bzw. die man mit größeren Objektiven nicht mehr zusammenklappen kann. Für diese Cameras gab es ab 1955 keine zeitgemäßen Weitwinkelobjektive mehr; ihre Besitzer musste auf veraltete Konstruktionen der 1930'er Jahre, oder von noch früher zurückgreifen, womit man aber den Vorteil des größeren Formats verspielte. Und noch 50 Jahre später würde es Fotografen geben die vergeblich nach einer tragbaren Weitwinkel-MF-Camera mit einem Hochleistungsobjektiv verlangten... bis dann, 60 Jahre verspätet (!) die Bessa 67W kam.
Hier war sie - und wurde nicht auf den Markt gebracht.
1956 wurde Voigtländer von ZEISS übernommen, und traf in der Folge keine selbständigen Entscheidungen über ihr Produktprogramm mehr. Sicherlich ist es kein Zufall, dass das ZEISS Biogon in den Brennweiten 21mm (für Kleinbild), 38mm, 53mm, 60mm (für Mittelformat), 75mm (für 4x5 Zoll) angeboten wurde - und das Voigtländer ULTRAGON bloß in 115mm und für 5x7 Zoll, wofür ein Biogon wohl mehrere Kilo schwer geworden wäre, und auch die massivste Standarte in die Grätsche gezwungen hätte. Mit dem geringen Bauaufwand des Fünf- bzw. Sechslinsers wäre es wohl auch günstiger gewesen als die großen Zeiss Biogone.

Schade für das Ultragon - und in der Folge, Schade für Voigtländer!

Ultragon

Bilder mit dem 60mm Ultragon - kommen demnächst!

Fortsetzung Ultragon-Bessa (mehr Bilder)


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