NIKON S2 - die Camera, die Zeiss-Ikon hätte bauen sollen...

by Frank Mechelhoff                                                                Update Juli 2022

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Nikon Contax 1954 bringt der Weltmarktführer in Sachen Kleinbildfotografie, die Firma Ernst Leitz Wetzlar die Leica M3 auf den Markt. Sie ist keine revolutionäre Camera, aber ein immenser Fortschritt in Sachen Bequemlichkeit und Schnelligkeit der Bedienung. Neben dem Bajonettanschluß bringt sie vor allem Verbesserungen des Suchers: Das Sucherbild ist fast lebensgroß (0,91x), die Einblicksöffnung wurde wesentlich vergrößert - schon damals sind mindestens 50% der Fotografen Brillenträger, die das besonders angenehm empfinden. Außerdem ist die M3 die erste Kleinbildcamera mit einem Filmschnellspannhebel der diese Bezeichnung wirklich verdient, auch wenn man bislang noch mit zwei Zügen spannen muß. Auch zurückspulen kann man den Film jetzt schneller: dafür gibt es nun eine Kurbel.

Mit diesen Verbesserungen kann man nun den Rolleiflexen Konkurrenz machen die mit ihrem eleganten Aufzugsschwung seit Kriegsende von den Presse- und Werbefotografen Europas als Werkzeug bevorzugt werden. Und außerdem hält sich die Firma Leitz damit die zunehmend lästigen (und perfekter werdenden) japanischen Kopien der Leica-III vom Hals: Man ist wieder Technologieführer! Die M3 wird zu Leicas erfolgreichster jemals produzierter Camera (230.000 Stück).

Leider ist man weiter südlich in Stuttgart, bei der Firma ZEISS-IKON gegen diese Herausforderung nicht gewappnet, obwohl man dort nach eigener Ansicht die besten Cameras der Welt baut, und mit den verschiedensten Marken und Modellen des Konzerns 50% Weltmarktanteil hat. Vor dem Krieg hatte man mit der CONTAX II/ III die technisch ausgefeilteste, beste und teuerste Kleinbildcamera (mit den besten Objektiven) im Angebot. Seit 1950 baut man (nach gut 8 Jahren kriegsbedingter Unterbrechung) die Nachfolgerin, die neukonstruierte CONTAX IIa/ IIIa. Nun nicht mehr in Dresden sondern im Contessa-Werk in Stuttgart. Kosten rund 950 DM für Inlandskunden mit f/2.0-Standardobjektiv. Man verkauft sie mit dem Slogan "Die Ausgereifte" und sie unterscheidet sich (außer in der etwas verringerten Größe und dem geringfügig anderen Verschluß) kaum vom Vorkriegsmodell. Insbesondere hat sie noch den winzigen, stark verkleinernden Sucher

Nikon S2
Nikon S2 - both Pictures and cameras by Huub Lindhorst/  http://huubl.blogspot.com/

Bereits 1948, also früher als die Nachkriegsproduktion von Zeiss-Ikon, hatte die japanische Firma Nippon Kogaku K. K. ihre "Nikon" (später Nikon I genannt) im Programm. Erst seit 1946 entwickelt die Firma (ein ehemaliger Optik- und Rüstungsbetrieb) überhaupt Kleinbildcameras. Die Nikon ist kompakter als die Vorkriegs-Contax (ähnelt in der Größe der späteren Contax IIa), hat dasselbe Objektivbajonett, aber eine geringfügig andere Steigungskurve der Messsucherkupplung. Sie hat einen (einfacheren) Tuchschlitzverschluß in der Art der Leica (und nur 1/500s anstatt 1/1250s schnellste Verschlußzeit). Und man bevorzugt in der Anfangszeit ein kürzeres (eigentlich harmonischeres) 24x32mm Filmformat. Im ersten Jahr werden nur etwa 740 Stück produziert, aber die Camera wird kontinuierlich verbessert und gewinnt einen gewissen Ruf unter amerikanischen Photojournalisten, die sie im Koreakrieg als (preiswertes) Ersatzgehäuse für ihre Contax schätzen lernen. Einige der Objektive erreichen Carl Zeiss Standard!

Zur Extraseite der NIKON I/M/S (1946-1954)

Nikon
In den nächsten 1,5 Jahren (Nikon M) produziert man bereits 3.000 Stück - immer noch weniger als bei CANON, die schon in der Vorkriegszeit Cameras bauten. Wichtiger ist für Nikon immer noch das Objektivgeschäft (auch für Leica Schraubgewinde).

Von der nächsten Weiterentwicklung, der Nikon S baut man in den nächsten 3 Jahren 35.000 Stück .

ZEISS-IKON reagiert auf die Herausforderung Leica M3 nicht - ausser durch eine Preissenkung um 100 DM. Und es interessiert sie auch nicht dass ein unbekannter japanischer Hersteller eine nahezu kompatible "Billigversion" auf dem Markt hat - die bei Lichte betrachtet, eigentlich gar keine schlechte Camera ist... Sie konzentrieren sich aufs SLR-Geschäft. Die CONTAFLEX läuft erfolgreich an, und man beginnt an der Contarex zu entwickeln.

Im Gegensatz dazu hat NIKON sehr wohl eine Antwort auf die M3 - die S2. Das ist auch nötig, denn der Ursprungsentwurf der Camera ist bereits 6 Jahre alt. "Fastest handling in 35mm film" sagt die Werbung - und nicht ganz zu Unrecht!

Was bietet die Nikon S2 gegenüber der Contax mehr ?
  • Schnellaufzug und Rückspulkurbel - diese sollte die Contax bis zu ihrer Produktionseinstellung 1961 nicht mehr erhalten
  • Sucher in Lebensgröße (1,0x) mit eingespiegelten Rahmen für 50mm (Contax ca. 0,66x), wie bei der Contax ohne Parallaxausgleich. Die M3 zeigt dagegen drei Brennweiten!
  • Messsucher mit 60mm Basislänge (48mm effektive Basislänge bei Contax) - vergleichsweise präzise, auf Leica-Niveau!
  • Der Schlitzverschluss ist immer noch nicht das "technische Wunderwerk" des Contax-Metallverschlusses, hat zwei Zeiteneinstellräder für schnelle und langsame Zeiten, aber schon die moderne geometrische Teilung: T, B, 1, 1/2, 1/4, 1/8, 1/15, 1/30, 1/60, 1/125, 1/250, 1/500, und (das ist neu) 1/1000s. Leica verwendet 1954 noch die alte deutsche Zeiteinteilung, aber bereits auf einem einzigen (bei der Aufnahme nicht drehenden) Verschlusszeitenrad. Der Verschluss der S2 ist gegenüber dem Vorgängermodell neu konstruiert, und lauter als bei der Leica. (Das Nachfolgemodell wird eine andere Tuchbremse erhalten und leiser sein)
  • einstellbare Blitzsynchronisation ohne benötigte Zusatzteile
  • kein Selbstauslöser
  • unabhängiges äußeres Design (keine "Contax Kopie" mehr)
  • Objektive auf Qualitätsniveau von ZEISS, aber günstiger
Die Nikon S2 ist keine "Billigcamera" mehr, wie der Preisvergleich im wichtigsten Exportmarkt der Welt zeigt:

(  Preisliste Fotoversand Sears, Roebuck& Co. 1956  Preise in US-Dollar  )

Leica M3 m.  Summicron 2.0/50mm


447.00
Exakta VX (m. Prisma) u. Schneider Xenon 1.9/50mm
398.70
Contax IIa m. Sonnar 2.0/50mm
345.00
Rolleiflex F2.8D (6x6 TLR) m. Schneider-Xenotar 2.8/80mm
309.50
Nikon S2 m. Nikkor-H.C. 2.0/50mm
299.50
Contaflex II (Zentralverschluss SLR) m. Tessar 2.8/50mm
199.00
Tower 35 (Nicca/ Leica III copy) m. Nikkor-H.C. 2.0/50mm
169,50
Tower 24 (Asahiflex II SLR m. Lichtschacht) u. Takumar 2.4/58mm
98.40
 
Der Preis (2/3 der Leica, 4/5 der Contax) ist der Qualität angemessen und passt für den Herausforderer!

Vom Modell S2 werden von Oktober 1954 bis Anfang 1958 knapp 57.000 Exemplare hergestellt. Zeiss-Ikon baut in dieser Zeit noch ca. 35.000 Stück mit stark abnehmender Tendenz. Nicht nur Leitz - auch Nippon Kogaku hatte Zeiss-Ikon auf dem technologischen Kerngebiet "Professionelle Kleinbildcamera" überholt - und würde diesen Vorsprung auch nie wieder abgeben.
Nippon Kogaku waren die ersten denen es gelang eine führende Deutsche Firma zu schlagen. Canon und Pentax folgten später in ihren Fußstapfen. Zeiss-Ikon stellte sich in der Folge leider als schlechter Verlierer heraus und untersagte in den 1960'er Nippon Kogaku im Deutschen Sprachgebiet mehrmals gerichtlich, den Namen NIKON zu verwenden. Aber da war man bereits auf dem absteigenden Ast...

Production data

Interessanterweise wird das Design der Nikon S2 für so gut befunden dass nicht mehr nur die Schraubleica, sondern auch diese Camera von anderen Herstellern in Japan kopiert wird. Aber den reinen "Kopisten" geht es in den nächsten paar Jahren an den Kragen, sie werden vom Markt gedrängt. Niemals ist der Fotomarkt so transparent wie in jenen Jahren, ist Qualität so offensichtlich feststellbar.

Und das ist nicht die letzte Antwort von Nikon an Contax:
Zwei Jahre später macht man aus der S2 die erste Kleinbildcameras der Welt die man serienmässig mit elektromotorischem Aufzug bekommt. Und man bringt ein Standardobjektiv der Lichtstärke f/1.1 heraus.
Die Ausgereifte

S2
Die S2 im Handling:
Eine tolle Camera, schnell bedienbar, leicht (550g, mit Objektiv 692g), schmal, gedrungen (breiter als eine Leica). Bis auf einen Belichtungsmesser vermisst man nichts. Das geteilte Verschlußzeitenrad macht keine Umstände (die eingestellte Zeit bleibt immer sichtbar). Wie fein der Vorspannhebel ist (für kleine japanische Hände). Überhaupt ist die Nikon S2 zierlich verglichen mit den SLR Modellen der sechziger und siebziger Jahre. Alle Bedienelemente sind leichtgängig und liegen toll in der Hand: man versteht warum Photojournalisten sie wählten.
Auch die kleinsten Details sind liebevoll und mit viel Sinn für funktionale Ästhetik gestaltet, aber dünneres Metall, weniger dickes Chrom als die klassischen Leicas und Canons jener Jahre. Alles in allem war Nikon 1954 ja erst seit sechs Jahren Camerahersteller.
Das Auslösegeräusch erklingt satt, vertrauenerweckend-zuverlässig und erschütterungsfrei. Auch die langen Zeiten laufen sehr präzise. Der Blick durch den Sucher ist etwas dunkler als bei der späteren Canon P, graublau-getönt, der Messsucherfleck nicht so deutlich abgegrenzt, der 50mm Rahmen klar, aber weit aussen. Mit dem Fokussierrädchen lässt sich präzis arbeiten, aber der Fokusweg ist lang.
Das Nikkor-S 1.4/5cm war das erste serienmässige Kleinbildobjektiv der Welt mit f/1.4 - ein echter Sonnar-Typ - die offene Blende ist im Nahbereich voll nutzbar, mit schöner weicher Zeichnung, wenn auch streulichtempfindlich. Die ersten Versionen waren verchromt und nicht ganz so leichtgewichtig; schwarz eloxiertes Leichtmetall gab es erst ca. 1956.
S2
Messsucher, Fokussierung und Bajonett der Nikon S2
S2 w. 85mm f/2

1936 sind die Olympischen Spiele in Berlin, die Nazi-Diktatur in Deutschland gibt sich tolerant und Hitler ist auf dem Höhepunkt seiner Macht und Popularität. Und in Dresden ist Zeiss-Ikon führender Camerahersteller der Welt mit ihrer Contax-II, der ersten Camera mit kombinierten Messsucher. Mit dem unvergüteten, versenkbaren Sonnar 1:2 f=5cm kostet sie den enormen Preis von 450 Reichsmark, dem sechsfachen Monatslohn eines einfachen Arbeiters. Zum Vergleich kostet eine Rollfilm-Super-Ikonta etwa ein Drittel und eine Leica IIIa mit 1:2.0 Summar "nur" RM 387,-

Contax ii

1957 ist der Vorsprung verbraucht. Drei japanische Hersteller bringen unabhängig voneinander je eine Kleinbildcamera für anspruchsvolle Amateure und Profis heraus, die sowohl vom eigenständigen Design her, als auch durch überlegene technische Eigenschaften die Produkte der Deutschen Fotoindustrie überflügeln. Es ist das Jahr indem die Japaner erstmalig auf gleicher Augenhöhe wahrgenommen werden. Mindestens zwei dieser Cameras werden ein wirtschaftlicher Erfolg, zwei begründen Legenden, und alle drei setzen Design-Masstäbe die 20 Jahre und länger gelten. Niemand braucht im Unklaren zu sein was jetzt geschieht.

Diese drei Cameras sind die Nikon SP, die Canon V/L-Serie, und die Asahi Pentax.

­Schon drei Jahre zuvor hätte man hellhörig werden müssen angesichts einer Camera wie der Nikon S2, die - alles in allem - den besten Produkten der Deutschen Camerainsdustrie absolut gleichwertig, in manchen Details sogar überlegen war...

Jetzt ist Kassandras Ruf schrill und unüberhörbar.

Doch die Verantwortlichen der Deutschen Fotoindustrie haben taube Ohren...

Nikon F

weiter mit der Nikon S3 (neu!)
weiter mit der Nikon F

Externe Links zu frühen NIKON Cameras:
Peter Lausch's NIKON Geschichte (Web-Archive 2017)
Nikon Rangefinder Prototypes by Mike Eckman

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